Der Berlin-Marathon liegt drei Tage zurück, meine Beine schmerzen noch immer. Mit 2:26:03 Stunden habe ich eine tolle neue Bestzeit aufgestellt. Auch wenn ich die Zeit unter 2:25 nicht geschafft habe: es war ein hervorragendes Rennen, mit dem ich hochzufrieden bin.

Am Vortag und am Morgen des Marathons regnete es unaufhörlich, doch das war mir egal. Kühlender Regen war mir lieber als glühende Hitze. Die Temperaturen waren mit 11°C hervorragend für einen guten Marathon und somit gab es auch keinen Grund, zu fluchen oder zu frieren. Wie schon im Vorjahr war die Stunde vor dem Start stressig. Es war anstrengend, sich durch die Massen von Sportlern am Platz der Republik und in der Nähe der Startblöcke zu zwängen. Eine Sicherheitsnadel riss von der Startnummer, meinen Energieriegel ließ ich vor der Gepäckabgabe liegen. Als aber der Startplatz im Block A gesichert war, legte sich die Hektik und ich konnte mich die letzten 15 Minuten im Regen stehend noch etwas beruhigen.

Planänderung und Kooperation

Nach dem Startschuss gab es wenig Gedränge. Auf den ersten 500 Metern gelang es mir, die Frauen-Spitze auf der anderen Straßenseite zu entdecken. Ich schloss mich den schnellen Frauen und ihren Tempomachern an – der Plan war schließlich, mit der Gruppe um Sabrina Mockenhaupt auf eine Zeit von 2:25 Stunden zu laufen. Zur Sicherheit hatte ich aber – anders als sonst bei Wettkämpfen – eine Stoppuhr am Handgelenk, um die Zeiten auf den ersten Kilometern mit dem angepeilten Tempo zu vergleichen.

Der erste Kilometer fühlte sich gemächlich an, und mit 3:32 Minuten war er tatsächlich 6 Sekunden über dem nötigen Schnitt. Ich ließ mich davon zuerst nicht beirren und wartete auf die Zwischenzeit am nächsten Kilometerschild. Der zweite Kilometer war noch langsamer – 3:40! Das war mir zu heikel. Jetzt hatte ich schon 20 Sekunden Rückstand auf meinen Fahrplan und das Rennen hatte noch gar nicht richtig begonnen. Ich entschloss mich, es alleine zu versuchen. Das 12-wöchige Training sollte nicht umsonst gewesen sein. Auf den nächsten Kilometern überholte ich viele Läufer, schloss zu kleinen Gruppen auf, zog an ihnen vorbei und arbeitete viel alleine. Dabei hatte ich doch in einer Gruppe laufen wollen, um Kräfte zu sparen.

Der erste rennentscheidende Moment kam kurz nach Kilometer 8, wo mich meine Fans aus der Heimat zum ersten Mal angefeuert hatten. Fabian Borggrefe von der SG Spergau schloss zu mir auf. Wir sprachen kurz und vereinbarten, gemeinsam auf eine 2:25 hinzuarbeiten. Er hatte sich noch länger als ich bei den Frauen aufgehalten und einen noch größeren Rückstand auf sein geplantes Tempo gehabt. Bei Kilometer 10 waren wir wieder genau auf Kurs. Mit zwei schnellen Kilometern unter 3:20 schlossen wir zu einer vor uns laufenden 5er-Gruppe auf. Endlich konnten wir zur Abwechslung mal ein gleichmäßiges Tempo laufen. Das tat den Beinen gut – bis km 19.

Mut zum Risiko

Kurz nachdem wir zum zweiten Mal an meinen Fans vorbeitgelaufen waren, rannten die drei führenden Frauen samt Tempomachern an uns vorbei. Unsere Gruppe zog mit. Das Tempo war nun beständig schneller als nötig. Fabian und ich diskutierten mehrmals, ob wir uns zurückfallen lassen sollten. Zu diesem Zeitpunkt spürte ich schon, wie meine Waden langsam ungewöhnlich fest wurden. War es der harte Asphalt, die Feuchte oder doch die Kälte die meinen Muskeln zusetzte? Ich ignorierte die leichten Schmerzen und freute mich über das gute Tempo, dass sich schnell aber beherrschbar anfühlte. Nach der Halbmarathonmarke wiederholte sich unser Gespräch:

Fabian: „Das ist zu schnell.“
Alex: „Wenn wir zu zweit allein weiterlaufen wird’s auch nicht leichter.“
Fabian: „Ok, was solls. Alles oder nichts!“

Lange konnten wir uns allerdings nicht an den Vorsatz halten, denn bei Kilometer 25 setzte die spätere Siegerin Aberu Kebede aus Äthiopien den rennentscheidenden Antritt. Wir ließen sie und ihre beiden Verfolgerinnen samt Tempomachern ziehen. Drei Kilometer weiter hatten wir zwei der drei Frauen wieder eingeholt und liefen an ihnen vorbei.

Trennung und Kampf

Die Kilometerzeiten blieben schnell. Bei der 30-Kilometer-Marke vereinbarten wir, noch weitere 5 Kilometer gemeinsam zu laufen. Meine Waden schmerzten allerdings immer heftiger, und nach einem 31. Kilometer in 3:18 min konnte ich mir den ein oder anderen schmerzvollen Seufzer nicht verkneifen. Fabian nahm das wohl wahr und zog nach 32 Kilometern davon, um am Ende mit 2:24:51 Stunden noch unser Zeitziel zu schaffen. Herzlichen Glückwunsch an ihn und danke für die Zusammenarbeit über 23 Kilometer!

Für mich war dieser Moment ein mentaler Knackpunkt: Plötzlich spürte ich Gegenwind und bildete mir ein, die Straße würde bergauf führen. Ich versuchte locker zu bleiben und konnte das Tempo noch 2-3 Kilometer halten. Meine Fans feuerten mich am Kurfürstendamm erneut an, doch ich nahm sie schon nicht mehr wahr, so sehr war ich auf mich fokussiert. Kurz darauf bremsten mich die Wadenschmerzen allmählich herunter – ähnlich wie 2009. Einige Läufer überholten mich auf den letzten Kilometern, auch die zweitplatzierte Frau zog an mir vorbei. Inzwischen waren meine Waden so fest, dass ich vor Schmerzen hätte schreien können. Die Schritte wurden kürzer, und ich stellte mich auf eine hohe 2:26er-Zielzeit ein.

Illusion eines Schlussspurts

Auf der Straße Unter den Linden hörte ich dann plötzlich, wie einen Stimmungsmacher an der Strecke „Hier kommt Sabrina Mockenhaupt!“ ins Mikrofon rief. Das hatte ich gebraucht. Nach diesem Rennverlauf auf den ersten Kilometern wollte ich unbedingt vor ihr ins Ziel kommen. Ich hatte tatsächlich den Eindruck, noch mal zu beschleunigen – doch das war eine Illusion: laut Zwischenzeit war ich auf den letzten 1,195 Kilometer nur noch bei einem Tempo von 3:58 min/km… Im Ziel war ich aber trotzdem knapp vorn und blieb nach 2:26:03 Stunden stehen. Das war eine ordentliche Steigerung meiner Bestzeit um 4:21 Minuten, mit der ich hochzufrieden bin. Auch die Platzierungen als 38. Läufer im Ziel und 6.-bester Deutscher sind klasse.

Nach diesem Rennen weiß ich, dass ich auf der Marathonstrecke noch schneller laufen kann. Eine 2:24er-Zeit war am Sonntag schon möglich, mit höheren Trainingsumfängen traue ich mir sogar noch mehr zu. Die nächsten vier Wochen werde ich mich aber erst mal gründlich erholen.

Videos von meinem Berlin-Marathon gibt es hier zu sehen.

Kommentare

6 Kommentare zu “Pläne verworfen – viel riskiert – 2:26:03”

  1. Roman am 30. September 2010 um 8:46 Uhr

    Glückwunsch Alex!!!

  2. 19joerg61 am 30. September 2010 um 10:44 Uhr

    Gratulation zum tollen Lauf. Da kann man wieder rechnen, wo überall noch ein paar Sekunden herzuholen wären. Aber ich bin sicher, die PB wird nicht ewig da bleiben.

    Jörg

  3. Christian am 30. September 2010 um 22:23 Uhr

    Ein eindrucksvoller Bericht mein Freund…Und nochmals: Herzlichen Glückwunsch zu diesem Ergebnis !!!

  4. Mario Hofmann am 1. Oktober 2010 um 14:43 Uhr

    Hallo Alexander,
    Superzeit, tolles Rennen, Fantastischer Bericht.
    Mach weiter so, da macht es auch Spaß zu zuschauen
    wenn man zur Zeit selber nicht so kann wie man
    möchte. Nochmal meinen Glückwunsch.
    Mario aus Elgersburg

  5. Philipp Heinz am 4. Oktober 2010 um 15:25 Uhr

    hey alex,
    wirklich ein beeindruckender wettkampf und wieder einmal ein super schöner bericht! mach weiter so, du bist auf einem super weg!!

    sportliche grüße aus heidelberg

  6. Ronald schulz am 5. Oktober 2010 um 9:27 Uhr

    faszinierend alex, hast ja auch ne eigne homepage. na dann auch hier nochmal meinen uneingeschränkten respekt, für diese supertolle persönliche bestzeit. dein laufbericht passt genau, denn so hatte ich dich auch immer wieder im fernsehen vorbei huschen gesehen.

    bist ein toller typ und die sache mit deinem trainer, reingert richter, nach deiner wahl zum „mister thüringenläufer in 2010“, macht dich noch grösser und symhatischer. übrigens hättest du am we in köln, mit dieser glanzleistung, ganz vorne mitlaufen können. aber köln ist für den spass und berlin für absolute bestzeiten geeignet.

    laufgrüsse aus rheinhessen